Magersucht (Anorexia nervosa)
Alles, bloß nicht zunehmen.
Damit wäre eigentlich schon alles gesagt. Über die Magersucht. Und über den einzigen Weg wie man aus ihr herauskommt. Das ist einfach, einfach essen, sagen alle, stimmt auch, wenn da nicht ... Sie wären. Sie sind nicht so einfach, wie alle immer denken oder dachten. Da gibt es mehr in Ihnen, als die da draußen wissen und merken sollen, vielleicht als Sie selbst wissen und vor allem fühlen wollen. Und mit der Magersucht, Ihrer Magersucht, bleibt all das schön kontrolliert. Alles unter Kontrolle, aber nur mit der Magersucht. Und die lassen Sie sich nicht wegnehmen, von niemandem. Oder hat etwa die Magersucht Sie unter der Kontrolle? Wenn Ihnen das klar geworden ist, Sie sich das eingestanden haben, dann können Sie anfangen, den meist langen Weg in die Selbstständigkeit beginnen. Das heißt nicht, dass Sie Ihre Magersucht nicht mehr lieben - Sie sind hin und hergerissen und das wird lange so bleiben, das macht den Weg so anstrengend.
Also ich "verhandle" seit 19 Jahren jeden Arbeitstag über Essen, seit 1999 in stationärer Behandlung und seit 2008 in ambulanter Therapie. Morgens anderthalb Brötchen, mittags einen Teller mit ...., abends 3 Brote ... . Das sind die Momente in denen Sie mich (zumindest ein bißchen) hassen und ich die Magersucht, aber es hilft nichts - und ambulant ist es noch stärker als stationär Ihre Entscheidung, jeden Tag, ob Sie den Weg aus der Magersucht gehen wollen. Und dann gibt es die Frustration, dass es nicht weiter geht und dass die Angst vor der Gewichtszunahme nicht weniger wird und dass das alles nicht aufhören will. Und dann das, warum ich es, all die Mühen doch wert finde ausgerechnet mit Magersüchtigen zu arbeiten: wenn Sie als eigenständige Persönlichkeit wieder spürbar werden, wenn das Essen langsam unwichtig wird und Sie sich dem zuwenden, was Sie schon immer wollten: Leben.
Apropos Leben: Magersucht ist eine lebensbedrohliche Erkrankung. In jeder Hinsicht. Sie nimmt Sie aus dem Leben heraus und Sie endet statistisch für ca. 10-20% der Erkrankten mit dem Tod. Klar, dass da bei einem schlechten Verlauf rasch und intensiv gehandelt werden muss - da kann ambulante Therapie häufig nicht mehr ausreichen. Dennoch, bewältigt wird die Magersucht, das hab ich schon stationär beobachtet, letztlich meist "draußen", dort wo das Leben stattfindet, auch wenn der notwendige Anfang in einer spezialisierten Klinik gemacht wurde. Ob und unter welchen Bedingungen ambulante Therapie möglich und sinnvoll ist, hängt wesentlich von Ihrem Gewicht, vom körperlichem Zustand und vom medizinischen Verlauf ab. Dies klären wir gemeinsam und gegebenenfalls zusätzlich zusammen mit Ihrem Hausarzt oder Internisten.