Praxis für Psychotherapie

Praxis für Psychotherapie Dr. med. Joachim Boßler

Adipositas

Fettsucht. Wahre Worte sind nicht schön, schöne Worte sind nicht wahr ... (Laotse). Ich verwende dieses ehrliche (und fachlich korrekte) Wort auch wenn es verletzt und schmerzt. Psychotherapie ist manchmal wie Chirurgie, nur bei wachem Bewußtsein: da wo es weh tut: in der Tiefe herausschneiden und dann eine gute Wundversorgung machen. Da gibt es durchaus Menschen die zu früh vom Behandlungsstuhl springen und weglaufen ... . Was habe ich mir damit schon für Ärger eingehandelt. Und doch ist es auch die schmerzhafte Wirklichkeit, die Sie jeden Tag vermeiden wollen, wenn Sie riesige Essmengen, die Sie in sich hineinschlingen (Binge Eating) oder das Essen, das Sie ständig zur Hand haben ("Grasen") nicht wahrnehmen. Sie schauen nicht hin, wollen den Körper und seine Gefühle nicht wahrnehmen. Das kann Ihre Scham sein, sich mit diesem Körper zu zeigen, soziale Ängste und das können tiefere Verletzungen sein; die Möglichkeit sich zu schützen, wie mit einem Panzer, der keine Verletzungen mehr durchlässt oder um sich Menschen vom Leib zu halten.  Also hilft nur hinschauen, aufhören sich zu verstecken und den Zustand  zu akzeptieren wie er jetzt ist. Merke: Akzeptieren heißt nicht gutheißen. Anfangen sich zu mögen, jetzt, nicht erst wenn Sie dünn sind, nicht irgendwann mal und solange sich mit Essen trösten (und verletzen!). Wahrnehmen, dass Sie es sind die/der sich verletzt, wenn er/sie sich nicht wahrnehmen will, sich und Anderen keine Grenzen setzt.
Ich habe noch keinen essgestörten, schwerst übergewichtigen Menschen erlebt, der dem Klischee vom gemütlichen und bequemen Dicken entsprochen hätte - Sie geben all Ihre Kraft für Andere her, eine größere Idee, eine alte Verletzung und verlieren sich selbst völlig aus dem Blick oder zerstören sich dafür selber. Es kann Ihnen Angst bereiten abzunehmen, den Schutz zu verlieren, sich um sich zu kümmern, sich zu wehren, sich für sich einzusetzen. Es ist paradox, wie übergewichtige Menschen übersehen, benachteiligt und ignoriert werden - von anderen Menschen UND von sich selber. Hören Sie auf, sich selber zu übersehen. Fangen Sie an, es sich wert zu sein sich wahrzunehmen.
In der Verhaltenstherapie erarbeiten wir zunächst ein Modell wie das krankhafte Essverhalten aufrechterhalten wird und welche Faktoren dabei, speziell bei Ihnen eine besondere Rolle spielen. Wesentlich aufrechterhaltend, wie bei allen Essstörungen, ist der Ersatz der gestörten Hunger- und Sättigungsregulation durch emotionale Einflüsse und in der Therapie das Wiedererlernen eines gesunden Essverhaltens (keine Diät!), das zu einer langsamen und anhaltenden Gewichtsabnahme führen soll. Auf eine günstige Essensstruktur wird ausführlich eingegangen. Idealerweise erlernen Sie wieder eine gesunde Hunger/Sättigungsregulation.
Wichtig: Es sind bei weitem nicht immer psychosomatische Ursachen (sondern genetische, medikamentöse und hormonelle), die zu Übergewicht und Adipositas führen! Obige Aussagen passen dann ganz und gar nicht. Deswegen ist nur die eigentliche Essstörung, also das aus psychischen Gründen krankhafte Essverhalten aus psychosomatischer Sicht psychotherapeutisch behandlungsbedürftig und behandlungsfähig. Hier bestehen dann auch häufig zusätzliche psychische Erkrankungen wie z.B. häufig Depressionen - und Depressionen wiederum können Ursache sein für gesteigerten Appetit und Gewichtszunahme. Wichtig ist immer die konsequente Behandlung der ursächlichen Erkrankung und auch der Folgeerkrankungen, meist mit Ihrem Hausarzt oder Internisten.
Um ehrlich zu sein: die Erfolge in der Adipositasbehandlung sind psychotherapeutisch nicht besonders beeindruckend, chirurgisch sind die Studiendaten erheblich besser. Meine Erfahrung ist hier, dass sowohl der psychotherapeutischen Vorbereitung, als der Nachsorge eine wichtige Rolle zukommt. Mittlerweile erlebe ich die operativen Einschränkungen die sich für die Essensmengen ergeben als eine Art "Reaktionsverhinderung", die erschwert große/normale Mengen an Essen aufzunehmen, mit der Notwendigkeit neues Verhalten zu erlernen, z.B. zur Spannungsreduktion oder zur Vermeidung unangenehmer Emotionen. Jedoch bereits früh nach der Operation kann dies durch "Grasen" oder durch schrittweises Erhöhen der Essmengen wieder umgangen werden, nach und nach kann so der Operationserfolg zunichte gemacht werden. Deswegen ist es wichtig, die Chance die die Operation psychotherapeutisch bringt, zu nutzen und hilfreiche Verhaltensveränderungen im Umgang mit Gefühlen zu erlernen.